Im folgenden werden wir Ihnen die verschiedenen Möglichkeiten der invasiven vorgeburtlichen Diagnostik und Therapie vorstellen, die die weiterführende Stufe der vorgeburtlichen Diagnostik repräsentiert.
Bei der nicht invasiven Praenataldiagnostik (siehe dort) wird eine Abschätzung bestimmter vorhandenener Erkrankungsrisiken des ungeborenen Kindes durchgeführt. Im Gegensatz hierzu ist das Ziel der invasiven Praenataldiagnostik die Gewinnung kindlicher Zellen, um den Nachweis kindlicher Chromosomenstörungen, wie z.B. Trisomie 21 (Down-Syndrom), Stoffwechselstörungen oder kindlicher Infektionen führen zu können. Hierbei werden aus dem Fruchtwasser (mittels Amniozentese / AC), dem Mutterkuchen (mittels Chorionzottenbiopsie / CVS) oder aus kindlichen Blutgefäßen (mittels Chordozentese) Proben entnommen, die anschließend in Speziallabors auf das Erbgut, Infektionszeichen, bestimmte Stoffwechselkrankheiten und Störungen der Blutkörperchen untersucht werden. Das Risiko für das Vorliegen einer Fehlverteilung der Chromosomen als Träger der Erbanlagen steigt mit mütterlichem Alter; so hat z. B. eine 30jährige Frau das Risiko von 1:895, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, eine 40jährige Frau bereits ein Risiko von 1:97. Generell wird vor jeder invasiven Diagnostik ein ausführliches humangenetisches Beratungs- und Aufklärungsgespräch durchgeführt, wie es das Gendiagnostikgesetz (GenDG, siehe dort) vorschreibt.
![]() Fetaler Arm mit Hand, 13.SSW, 2D |
![]() Embryo 12.SSW, 3D/4D |
Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese)
Die seit über 40 Jahren am häufigsten durchgeführte und damit die bekannteste Form der invasiven Diagnostik ist die Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese), mit der durch eine Punktion über die mütterlichen Bauchdecken unter kontinuierlicher Ultraschallkontrolle im Fruchtwasser schwimmende fetale (kindliche) Zellen gewonnen werden. Spezielle biochemische Untersuchungen wie die Bestimmung des Alpha-Fetoproteins (AFP) sowie der Acethylcholinesterase (ACHE) zur Erkennung kindlicher Fehlbildungen wie Bauchdecken- oder Neuralrohrdefekte (z.B. Spina bifida = offener Rücken) werden ebenfalls im Rahmen der Fruchtwasserpunktion durchgeführt.
Der Eingriff ist nur wenig schmerzhaft (vergleichbar mit einer Blutentnahme) und bedarf keiner Betäubung, er dauert im Regelfall 1-3 Minuten. Da das Fruchtwasser ständig nachgebildet wird, ist die Menge des entnommenen Fruchtwassers (ca. 12 – 16 ml) unerheblich für die Gesamtmenge in der Fruchthöhle. Da international belegt ist, dass sogenannte Frühamniozentesen wegen des hohen Eingriffsrisikos nicht durchgeführt werden sollen, empfehlen wir – wie andere Praenatalzentren auch – die Punktion ab der 16.SSW (15+0 SSW). Bezüglich eines früheren Zeitpunktes von Punktionsmöglichkeiten siehe auch „Chorionzottenbiopsie“ (CVS).
Vorteil der invasiven Methoden ist die hohe diagnostische Sicherheit gegenüber der reinen Risikoabschätzung bei den nicht invasiven Praenataldiagnostiken. Das Eingriffsrisiko (Blasensprung, Blutung, Infektion, Fehlgeburt) liegt bei 3-5 Fehlgeburten auf 1000 Punktionen. Das Ergebnis der Chromosomenuntersuchung liegt in der Regel nach 10-14 Tagen vor. Auf Wunsch kann ein spezieller zusätzlicher Schnelltest (FISH-, PCR-Diagnostik) zum Ausschluß der vier häufigsten Chromosomenstörungen durchgeführt werden. Dessen Ergebnis liegt i.d.R. nach 24 Stunden vor. Die Laborkosten des Schnelltests werden von den Krankenkassen jedoch nicht übernommen (IGEL-Leistung).
Zeitpunkt: ab der 16. SSW
Zweck: Chromosomenanalyse, Fruchtwasseranalyse z.B. bei Infektionen, AFP/ACHE Bestimmung, Blutgruppenbestimmung bei Blutgruppenunverträglichkeit
Chorionzottenbiopsie (CVS)
Bei der Chorionzottenbiopsie werden die kindlichen Zellen nicht aus dem Fruchtwasser, sondern aus dem Mutterkuchen (Placenta) entnommen. Im Vergleich zur Amniozentese liegt der Vorteil dieser Methode in der frühen Durchführbarkeit, nämlich ab der 11. Schwangerschaftswoche.
Außerdem lässt sich aus dem Zottengewebe in der Regel eine Kurzzeitanalyse durchführen, so dass das Ergebnis der Chromosomenanalyse bereits nach 24 Stunden vorliegt. Neuere Untersuchungen zeigen kein höheres eingriffsbedingtes Fehlgeburtsrisiko im Vergleich zur Amniozentese (siehe dort), wenn die CVS durch einen speziell erfahrenen Praenatalmediziner durchgeführt wird. Bei dieser Methode ist jedoch zu bedenken, dass zum Zeitpunkt der Durchführung der Chorionzottenbiopsie (ab 11.SSW) das ohnehin vorhandene natürliche Fehlgeburtsrisiko (also ohne jedweden Eingriff) bei 3 % – 5 % liegt, während das natürliche Fehlgeburtsrisiko in der 15. SSW nur noch bei 1 % liegt. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass das AFP und ACHE nicht bestimmt werden können. Außerdem sind im Vergleich zur Amniozentese Mosaikbefunde (unklare Befunde im Erbgut) etwas häufiger.
Zeitpunkt: ab 10+3 SSW bis 13+6 SSW
Zweck: Chromosomenanalyse bei Altersindikation oder fetalen Auffälligkeiten, molekulargenetische Diagnostik bei bekannten familiären Erbkrankheiten (z.B. Mukoviszidose), Muskeldystrophien
![]() Nackentransparenzmessung 12.SSW, 2D |
![]() auffällige Nackentransparenz 12.SSW, 2D |
Nabelschnurpunktion (Chordocentese) und weitere diagnostische / therapeutische Eingriffe
Selten wird die Punktion der kindlichen Nabelvene zur Gewinnung von fetalem Blut oder auch zur Gabe von Medikamenten oder einer Bluttransfusion notwendig. Gründe hierfür können z.B. der Verdacht auf kindliche Infektionen oder der Nachweis einer kindlichen Blutarmut sein. Des Weiteren kann diese Diagnostik sinnvoll sein bei dem Verdacht auf einen Mosaikbefund (siehe dort) sein. Unter Ultraschallsicht wird mit einer dünnen Nadel durch die mütterliche Bauchdecke die Nabelvene punktiert. Das Eingriffsrisiko liegt bei etwa 0,5%-1%, bei schweren kindlichen Erkrankungen oder Fehlbildungen auch deutlich höher. Bei bestimmten fetalen Erkrankungen kann es notwendig werden, dem ungeborenen Kind durch eine Entlastungspunktion zu helfen, z.B. bei Ergüssen im kindlichen Bauchraum (Ascites), in der kindlichen Lunge (Pleuraergüsse) oder bei Entleerungsstörungen / Aufstau der kindlichen Harnblase (Megacystis).
Zeitpunkt: ab der 18. SSW
Zweck: rasche Chromosomenanalyse, Infektionsdiagnostik, Blutuntersuchung bei Blutgruppenunverträglichkeit, Bluttransfusionen, Medikamentengabe
![]() Nabelschnuransatz am Mutterkuchen 22. SSW, Farbdoppler |
![]() Bauchwandbruch 20.SSW, offen (Gastroschisis) |
![]() Nabelschnuransatz am Feten 20.SSW, Farbdoppler |
Mögliche Komplikationen und/ oder Probleme nach invasiver Diagnostik
Häufig werden die Risiken bei der (professionellen) Durchführung einer Punktion überschätzt. Aufgrund der speziellen Verhältnisse während der Schwangerschaft treten fast alle Komplikationen innerhalb der ersten 24 Stunden nach Punktion auf. Aus diesem Grunde wird generell zu konsequenter häuslicher Schonung für zwei bis drei Tage geraten. Dies bedeutet gegebenenfalls, dass sinnvolle Entlastungen der Patientin im Vorfeld der invasiven Diagnostik (Punktion) organisiert werden sollten: Hilfe bei der Versorgung kleinerer Kinder, Hilfe im Haushalt, Vermeidung anstrengender Tätigkeiten oder Reisen.
Selten kann eine Wiederholung der Punktion notwendig werden, wenn z.B. in der Kultivierung der gewonnenen Zellen im Labor dieselben schlecht oder gar nicht wachsen. In diesen Fällen ist keine Aussage zu möglichen Chromosomenstörungen möglich ist (Kulturversager).
Mütterliche Risiken durch die Punktion sind extrem selten; dies könnten z.B. Blutungen und / oder Bildung von Blutergüssen sein. Deshalb ist es wichtig, daß von der Patientin im Vorbereitungsgespräch zu einer geplanten Punktion z.B. die Einnahme von (blutverdünnenden) Medikamenten dem Arzt gegenüber angegeben wird. Bei einer akuten mütterlichen Infektion (z.B. grippaler Infekt) oder chronischen Infektion / Erkrankung (z.B. HIV, Hepatitis u.a.) muß die Durchführung gut abgewogen, verschoben oder im Zweifelsfall unterlassen werden.
Gendiagnostik – Gesetz (GenDG)
Seit dem 01.Februar 2010 ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, welches alle ärztlichen Personen und Einrichtungen betrifft, die sich mit der Aufklärung, Bearbeitung und Mitteilung von genetischen Untersuchungen beim Menschen befassen. Dies betrifft auch sogenannte „phänotypische Untersuchungen“, also solche, mit denen man von der körperlichen Entwicklung und dem Erscheinungsbild auf das Risiko vorhandener oder vermuteter genetischer Erkrankungen des ungeborenen Kindes schließen kann (siehe auch „Früher Fehlbildungs-Ultraschall“ (FFU), Ersttrimesterscreening (ETS), Nackenfaltenmessung (nuchal translucency) u.a.). Von vielen Praenatal-Spezialisten seit Jahren schon durchgeführt, erfordert dieses neue Gesetz bestimmte Aufklärungen, Beratungen, Zeitabläufe und Dokumentationspflichten.
Entsprechend den Vorgaben des Gendiagnostik-Gesetzes (GenDG) wird in unserem Institut individuell, nicht-direktiv, ergebnisoffen und zur eigenen Entscheidung jeder Patientin beraten. Die Ärzte des Instituts sind als spezialisierte Pränatalmediziner nicht nur für die genetische Beratung zur vorgeburtlichen Risikoabklärung gemäß § 3 Nr. 1b und 3 GenDG zertifiziert, sondern auch für die prädiktive genetische Beratung gemäß § 7 Abs. 1 und 3 GenDG, welche die vorgeburtliche Risikoabklärung einschließt, allerdings inhaltlich deutlich darüber hinausgeht, sowie alle Arten invasiver Diagnostik einschließt. Die NIPT ist daher in unserem Institut in ein professionelles und praenatalmedizinisches Gesamtkonzept eingebunden, das den derzeit höchsten medizinischen Standards folgt.